Artali - ein blindes Pferd sehen
Dezember 3, 2024
Als ich Michaela auf dem Horse & Spirit Festival in der Schweiz kennengelernt habe, hat sie mir von ihrem besonderen Pferd Artali erzählt. Ich hatte sofort eine Verbindung zu den beiden, denn ich kenne diese Energie sehr gut, die zwischen Menschen und Pferden besteht, die sich sehr nahe sind und deren Beziehung über das herkömmliche Mensch/Pferd Zusammensein weit hinausgeht.
Wenn es plötzlich dunkel ist
Artali ist ein weiß geborener Knabstrupper, der seit seiner Geburt sehbehindert ist und mit 14 Jahren ganz erblindet. Ich bin ehrlich, ich habe mich bis zu dem Zeitpunkt, als Michaela mir davon erzählte, noch nie damit beschäftigt, wie es ist, ein blindes Pferd zu haben. Hat man überhaupt blinde Pferde? Oder ist es für diese Tiere gar nicht möglich, blind in der Welt zu existieren? Dass Pferde mit nur einem funktionierendem Auge gut zurecht kommen, ist ja allseits bekannt, aber nach 14 Jahren völlig zu erblinden? Ist sowas zu schaffen … für Mensch und Tier?
Ich staunte nicht schlecht über Michaelas Erzählungen, wie Artali und sie diese Herausforderung gemeistert haben. Nachdem die anfängliche Erschütterung über die Dunkelheit, die sich über Artalis Leben gelegt hatte, erst einmal überwunden war, passten sich die beiden Schritt für Schritt der neuen Lebenssituation an. Ihre Liebe zueinander und das Wissen darüber, dass sie alles schaffen können, wenn sie sich gegenseitig in ihrer Tiefe wahrnehmen, überwand schnell den (bestimmt gut gemeinten) Rat der Tierärztin, Artali doch aus dieser Situation zu erlösen.
Doch Leben will nicht erlöst werden! Leben will sich anpassen, sich neu orientieren, Herausforderungen meistern und an ihnen wachsen, Lösungen finden und das nächste Level des Seins erobern.
Ein Pferd wächst über sich hinaus
Artali ist für mich der Inbegriff von Resilienz. Er hat sich von seinem Schicksalsschlag nicht aus der Bahn werfen lassen. Im Gegenteil: die Dunkelheit, die sich im Außen über sein Leben gelegt hat, erhellt nun umso mehr sein Innenleben und seine Wahrnehmung, die er den neuen Umständen angepasst hat. In Ermangelung seines Sehsinns entwickeln sich seine andere Sinne nun viel intensiver. Auch Pferde sind in der Lage, ihr Denken und Fühlen umzuprogrammieren und neue Verknüpfungen zu bilden, die es ermöglichen, auf einer tieferen Ebene zu spüren und zu interpretieren.
In ihrem Buch „Artali – Die Geschichte eines blinden Pferdes“ beschreibt Michaela, wie Artali und sie es geschafft haben, Hindernisse zu überwinden, neue Wege zu gehen und ihr Vertrauen zueinander auf ein völlig anderes Level zu heben. Artali erzählt aus seiner Perspektive und als Tierkommunikatorin gibt Michaela seine Worte und ihre Wahrnehmung dazu an den Leser weiter.
Die Tiefe und Weisheit in Artalis Worten berühren mich sehr. Ohne Klagen über den Verlust seines Augenlichtes lebt er in völligem Einklang mit seinem Wesen und seinem Sein. Man hat das Gefühl, als wäre es erst die Tatsache, dass er blind ist, die ihn in die Essenz seines wahren und großen Selbst geführt hat.
So hat Artali Botschaften für uns Menschen, die mein Herz zum Klingen bringen!
„Spürst du auch diese Sehnsucht, diesen inneren Traum, den du kaum benennen kannst? Er ist dabei, in Erfüllung zu gehen, doch dazu musst du die erlernten, anerzogenen und von der Gesellschaft erwarteten Eingrenzungen abstreifen. Hier geht es nicht um Regeln im Zusammenleben, sondern vielmehr um Begrenzungen deines Denkens. Der Gedanke, das Wissen darum, dass alles möglich ist und erst recht das Unmögliche, wird es dir erst ermöglichen, deine Sehnsucht zu erkennen. Tief in jedem von euch schlummert ein Wissen darum, was sein kann. Welche Kraft bisher nicht genutzt wurde, weil ihr die Natur, die Tiere und die Energien dazwischen nicht mehr wahrnehmen könnt. Wenn euch ein blindes Pferd sagt, dass es mehr sieht als ihr, weil es über das Sichtbare hinwegsehen kann. Ich lernte mit meiner Wahrnehmung zu sehen, zu fühlen, zu erfahren. Es ist das, was du auch kannst, und ich verspreche dir, es wird sich dir eine neue Welt eröffnen und dich erfüllen.“ (Artali, Seite 58)
Artalis Geschichte und wie Michaela sie empfängt und weitergibt hat etwas ungemein Wertvolles für uns Menschen, die wir so oft an unseren eigenen Grenzen scheitern. Sie zeigt uns auch, was passiert, wenn tatsächlich im Außen, im wahrsten Sinne des Wortes, das Licht ausgeht und wir zurückgeworfen werden auf uns selbst, rein auf unser Inneres. Was für die meisten von uns der Horror in Tüten wäre, hat Artali zu seiner größten Stärke gemacht, aus der er nun wie kein anderer seine kraftvollen und weisen Botschaften speist.
Besuch in der Schweiz
Im August besuchte ich Artali und Michaela in der Schweiz für ein Fotoshooting. Michaela wollte Bilder von ihrem Schatz, die ihn so zeigen sollten, wie er ist. Es ehrte mich sehr, dass ihre Wahl auf mich fiel und ich ihren blinden Artali durch die Kamera SEHEN durfte. Artalis gesamte Erscheinung hat mich sehr berührt. Abgesehen von seiner besonderen Fellfarbe, habe ich selten so ein in sich ruhendes und geerdetes Pferd kennengelernt. Ich näherte mich vorsichtig, allerdings spürte ich, dass er mich bereits schon lange vorher wahrgenommen hatte. Ich redete mit ihm, streckte zur Begrüßung meine Hand aus in Richtung seiner Nüstern, aber es war, als würde er mich fragen, warum ich das tat. Wenn andere Pferde im Moment der ersten Kontaktaufnahme eben Kontakt aufnehmen, hatte ich bei Artali das Gefühl, dass dies bereits irgendwann vorher geschehen und mein plötzliches Auftauchen keine Überraschung für ihn war.
Während des Shootings gab es kaum Momente, in denen mir aufgefallen wäre, dass ich ein blindes Pferd vor der Kamera hatte. Michaela half mit einigen wenigen, ganz klaren Kommandos, um Artali dort aufzustellen, wo es vom Hintergrund her passend war. Als Begleitung war auch Caprice mit dabei, Artalis Halbschwester, von der wir ebenfalls Fotos machen wollten. Allein auf visuelle Reize musste ich verzichten, um den Blick und die Ohren in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Wir beschränkten uns also auf akustische Reize, auf die Artali neugierig reagierte und uns dadurch aufmerksame Blicke schenkte.
Der letzte Shooting Spot lag auf dem Zufahrtsweg zum Stall und Autogeräusche vermischten sich dort mit den Geräuschen, die wir noch zusätzlich machten. Das war dann der Punkt, als wir merkten, dass wir das Shooting beenden dürfen, denn die Reize, die von Außen kamen, waren zu viel. Ganz klar signalisierte Artali, was er braucht und wir respektierten selbstverständlich seine Bedürfnisse.
Eine Auswahl der entstandenen Bilder findet ihr im Buch „Artali – Die Geschichte eines blinden Pferdes“, das ich euch sehr empfehle, wenn ihr mehr über Artali und seine Botschaften erfahren wollt. Einfühlsam und tiefgründig greift Michaela die Worte ihres Pferdes auf und gibt sie aus ihrer Wahrnehmung heraus an den Leser weiter. Ein Buch für alle, die Pferde nicht nur als Reittiere erleben und ansehen, sondern ihnen weit darüberhinaus ein Wissen zugestehen, das in der heutigen Zeit von großem Wert ist
Das Buch ist auf amazon erhältlich:
Ausblick
Michaela schreibt bereits an einem weiteren Buch, in dem ich als Co-Autorin mitwirken darf. Artali ist mir vertraut, seine Energie geht in Resonanz mit meiner, seine Weisheit schöpft er aus derselben Quelle, aus der auch Arces Weisheit stammt. Beide Pferde wollen nicht einfach nur Reitpferde sein. Sie sind hier, um eine tiefe Verbindung zu ihrem Menschen zu leben und diesen wohlwollend ins persönliche Wachstum zu begleiten. Beide Pferde haben eine Botschaft.
Artali sagt: „Mein Traum ist es, dass ihr euch wieder rückverbindet mit eurer wahren Bestimmung.“
Arce sagt: Reconnect with Yourself.
Wenn wir Menschen wieder mehr auf unsere Tiere hören, werden wir anfangen, unsere eigenen Grenzen zu überwinden und uns das unendliche Potenzial zurückholen, mit dem wir in dieses Leben gekommen sind, von dem wir uns allerdings erfolgreich abgeschnitten haben. Pferde haben jederzeit Zugriff darauf und werden nicht müde, auch uns immer wieder an dieses Geschenk zu erinnern.
Michaela Ghisletta wurde 1971 in Zürich geboren. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Seit über 20 Jahren arbeitet sie als Tierkommunikatorin, mediale Lebensberaterin und bietet Seminare und Ausbildungen für Erwachsene an. Seit 35 Jahren ist sie pferdebegeistert und kann sich ein Leben ohne Pferde nicht vorstellen.