Im stillen Zusammensein mit Tieren fällt es mir manchmal wie Schuppen von den Augen. Ganz besonders intensiv sind diese Erlebnisse, wenn ich mit Nala und Arce allein im Wald unterwegs bin. Nala, wie immer, ohne Leine weit voraus, nur durch das unsichtbare Band des absoluten Vertrauens mit mir verbunden. Auch wenn sie bereits hinter der nächsten Kurve verschwunden ist, weiß ich, dass ein Ruf von mir genügt und sie mit Schwung zu mir zurücksaust, oder zumindest mit aufgestellten Ohren stehenbleibt, den Kopf leicht zur Seite neigt und mich intensiven Blickes anstarrt, als würde sie studieren, warum um alles in der Welt ich sie gerufen habe, wenn sie doch eh da ist!
Anders ist das mit Arce. Auch ihn lasse ich frei neben oder hinter mir her gehen, nur das Gefühl, das ich dabei habe, ist von einer anderen Qualität und nicht von diesem absoluten Vertrauen geprägt, das ich gegenüber Nala habe. Obwohl wir uns alle drei gleich lang kennen und im Prinzip schon immer ein Dreiergespann waren, musste ich ihm gegenüber erst lernen “loszulassen”. Anfangs legte ich ihm zögerlich den Strick um den Hals und kontrollierte jeden seiner Schritte. Bei der geringsten Abweichung vom Kurs griff ich sogleich wieder danach, damit ihm ja nicht in den Sinn kam, umzudrehen und im wilden Galopp von mir wegzurennen (was mir aus heutiger Sicht skurriler nicht erscheinen könnte!). Später leitete ich ihn auf schmale Waldwege, wo er weder nach links noch nach rechts ausbüchsen konnte bzw. dies nur möglich gewesen wäre, indem er mich umgerannt hätte, was er aber, und das weiß ich mit Bestimmtheit, niemals machen würde. Am Stall war ich dann mutig, indem ich ihm, ohne ihn anzubinden, die Schüssel mit Kraftfutter vor die Nase setzte und auf seine Futterfixiertheit hoffend ihm zumindest so lange den Fluchtgedanken nicht zugestand, solange die Schüssel einladend voll gefüllt war. Das letzte Brösel eingesaugt, sprang ich jedoch schon wieder auf, um ihm ja keinen Schritt in die falsche (?) Richtung zu gewähren. Auch da weiß ich mittlerweile, dass er nur geht, weil er gerne direkt im Anschluss etwas trinkt.
Warum dieses mangelnde Vertrauen? Wohin hätte er denn gehen wollen? Warum hätte er denn vor mir weglaufen wollen? Diese Fragen habe ich mir nie gestellt, stattdessen lebte ich den Nervenkitzel zwischen Loslassen und Vertrauen und die Angst davor, alles zu verlieren. Jetzt fragt ihr euch bestimmt: “Warum hat sie ihn denn nicht einfach weiterhin an die Führleine genommen?” Oder, noch legitimer: “Sowas kann man ja trainieren, warum hat sie ihn denn nicht dahingehend ausgebildet?” Die Antwort ist: weil ich es wissen wollte, weil ich der Beziehung zwischen mir und meinem Pferd auf den Grund gehen wollte und zwar auf den Abgrund, dorthin, wo keine Leine mehr Hilfe leistet, sondern nur noch die nackte Wahrheit ist. Ehrlich gesagt, ich fand die Wahrheit nicht heraus, bis zu jenem Tag, als Arce tatsächlich beschloss, mich auszutricksen und mir davonzulaufen. Ich muss zugeben, er hat das echt clever gemacht. Während ich selbst damit beschäftigt war, durch die Schneemassen zu stapfen und dabei nicht steckenzubleiben, nahm er eine Art Abkürzung über ein kleines Feld, sprang über den vom Pflug aufgetürmten Schneehaufen und trottete hoch erhobenen Schweifes davon. Das Gefühl, das in mir aufstieg, während ich ihm so nachschaute, war etwas zwiegespalten. Einerseits musste ich lachen, weil er mich so derart ausgetrickst hatte, andererseits sah ich nun aber auch meine Chance, ihm zu zeigen, dass er mir vertrauen kann, weil ich ihm absolut nicht böse war und ich mir, im Gegenteil, nichts sehnlicher wünschte, als dass er sich umdrehte und auf mich wartete.
Warum erzähle ich diese Geschichte und was hat sie mit unserem Leben zu tun? Naja, stellt euch Folgendes vor: Ihr seid erfolgreich, habt grandiose Ideen, eine besondere Gabe, ein wunderbares Talent und eigentlich läuft alles fantastisch in eurem Leben. Ihr lebt beruflich euren Traum, welcher ganz nebenbei auch noch euren Unterhalt bezahlt. Eure Arbeit stößt rundherum auf positive Resonanz und die Zeichen stehen auf Wachstum. Trotzdem schleichen SIE sich ein – diese Tage, an denen das Vertrauen die Koffer gepackt und abgereist zu sein scheint. Wie aus heiterem Himmel ist da keine Zuversicht mehr, dass all das bleibt, wirklich wahr ist, ihr all das wirklich verdient. Wie oft erleben wir Momente, wo uns schlichtweg das Vertrauen fehlt … in uns, in andere, ins Leben, ohne dass es dafür einen triftigen Grund gäbe. Wir beginnen zu zweifeln und trösten uns mit Leonardo da Vinci, der ja auch schon davon überzeugt gewesen sein soll, dass “nichts Hohes ein Künstler erreicht, der nicht an sich selber zweifelt”.
Nur was ist jetzt der Ausweg? Was hilft an Tagen wie diesen und woher kommt der Trost? Meist kommt er von lieben Menschen, die uns nahe stehen und uns kennen. “Lass los und habe Vertrauen” ist der gut gemeinte Rat, der so gut wie er gemeint, so unmöglich umzusetzen ist. Habt ihr das schon einmal probiert? Einfach … jetzt … vertrauen … und das zu hundert Prozent! Wem das auf Anhieb gelingt, dem gratuliere ich aus tiefsten Herzen und dem schenke ich meine aufrichtige Bewunderung … und … der kann hier aufhören zu lesen. Wer allerdings nachdenklich wie ich die Stirn runzelt und Bedenken hinsichtlich der Umsetzung hat, dem sei Folgendes gesagt: man kann, ja muss Vertrauen schrittweise lernen und aufbauen.
Zurück zu Arce … habt ihr gedacht, er ist mir davongelaufen? Tatsächlich war es so, dass er auf mein Zurufen hin stehengeblieben ist und auf mich gewartet hat. Ich hatte nicht einmal ein Leckerli zur Belohnung dabei, aber mein überschwängliches Lob hat er sichtlich genossen. Ich war soooo glücklich! Und irgendwas in seinem Gesichtsausdruck sagte mir, dass er das auch war. In diesem Moment ist etwas passiert: Vertrauen ist entstanden. Es ist immer noch nicht das “Nala-Vertrauen”, aber es ist mehr, viel mehr als es ursprünglich war, mit Luft nach oben.
Während wir also heute zu dritt so durch den Wald spazierten, Nala ganz vorn, ich in der Mitte, Arce hinter mir her, wurde mir bewusst, dass Vertrauen nicht nur in der Tier-Mensch-Beziehung wachsen muss, sondern auch im Leben allgemein. Man kann sich schwer hinstellen und sagen, ich vertraue jetzt, zumindest kann ich das nicht. Aber ich kann jeden Tag etwas tun, um dieses Vertrauen zu entwickeln, zu pflegen und zu stärken. Ganz von allein werden sich kleine Erfolge einstellen, auf die man aufbauen kann und ehe man es sich versieht, steht man auf einem soliden Fundament voller Zuversicht. Als wir schließlich zu der Stelle kamen, wo wir uns letztens kurz getrennt hatten, atmete ich einmal tief durch und setzte unbehelligt meinen Weg fort. Ohne nur den geringsten Versuch eines übereilten Schrittes folgte mir mein Pferdchen auf den Fuß.
4 Comments
Tja, die Sache mit dem Vertrauen …. der Text ist sehr gut geschrieben und du sprichst mir damit wirklich aus der Seele.
Auch ich stelle mir seit Jahren die Frage “Wie weit kann ich meinen Tieren (sowohl Hunden, als auch Pferden) wirklich absolut vertrauen?”
Wobei das “Misstrauen” in meinem Fall niemals in der Angst vor einer bösartigen Aktion gegen mich begründet ist, sondern einfach in meiner eigenen Unsicherheit, dass sich meine geliebten Vierbeiner durch den Versuch eigene Wege zu gehen, meiner Kontrolle oder besser “meinem Schutz” entziehen könnten.
Es macht mir tierisch Angst, dass sie völlig unbedarft eine Straße überqueren oder sich anderweitig in Gefahr bringen könnten. Die Frage lautet jedoch “sind wir wirklich in der Lage, jeden ihrer Schritte zu kontrollieren und damit Gefahrensituationen ausschließen zu können?”
Grundsätzlich würde ich sagen, dass die Fähigkeit in ein Grundvertrauen – egal ob in andere Lebewesen oder in die eigenen Fähigkeiten – bereits durch das kindliche Umfeld erzeugt wird. Wenn du bereits in früher Kindheit ständig mit Zweifeln konfrontiert wirst, wird sich ein Grundvertrauen wohl nicht so leicht einstellen können und es ist notwendig, später das “Vertrauen” Schritt für Schritt zu erlernen. Einfacher ist es wohl, wenn dir die Eltern bereits eine große Portion Selbstvertrauen mit auf den Weg geben. Denn meiner Meinung nach ist Selbstvertrauen die Grundlage für jegliche Art von Vertrauen.
Für mich war es immer selbstverständlich, dass mir Tiere ihr Vertrauen schenken, weil ich mit diesem Grundvertrauen und einem von meiner Familie vorgelebten positiven Umgang mit Tieren aufgewachsen bin. Trotzdem hat sich im Lauf der Zeit und vor allem mit zunehmendem Alter eine zunehmende Unsicherheit entwickelt, einfach weil ich Gefahren mittlerweile aufgrund meiner „Lebenserfahrung“ ernster nehme und nicht mehr ganz so sorglos in den Tag hinein lebe, wie vielleicht noch vor einigen Jahren.
Für mich stellt sich die Frage des Vertrauens zum Beispiel immer wieder in Form unseres Hofhundes „Aramis“, den du ja selbst sehr gut kennst. Der Gute ist mittlerweile alt und nicht mehr ganz so schnell, läuft ständig auf der Straße herum und so wie bei unseren Fotoshootings oft genug Menschen, Hunden und Pferden bis weit in den Wald hinein nach. Ich habe mir schon oft die Frage gestellt, ob es seitens seiner Besitzer eine Art von Sorglosigkeit ist, dass sich niemand Gedanken macht, dass ihm dabei etwas passieren könnte. Oder ist es einfach Vertrauen in den Hund und seine Handlungen (beziehungsweise in die Vorsicht der Autofahrer)?
Wie lerne ich einem Tier, die von Menschen gemachten Gefahrensituationen zu meistern oder ihnen idealerweise zu entgehen?
Im Hinterkopf sind ständig die Gedanken an das, was passieren könnte und eben diese „negativen“ Gedanken sogen auf der anderen Seite für eine gründliche Blockade des Vertrauens.
Ähnlich ist es bei meinen Pferden. Sita – die erfahrene, geduldige, irgendwie „weise“, alte Stute kennt ihr Umfeld und ihre eigenen Möglichkeiten. Bei ihr fällt es mir leicht, sie nicht zu halten, sondern sie einfach neben mir laufen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass sie bei mir bleibt. Ich bin mir völlig sicher, dass sie mein vollstes Vertrauen rechtfertigt. Ich kenne sie schon einige Jahre und es hat sich ein immer stärker werdendes Vertrauen zwischen uns entwickelt.
Ganz anders jedoch Tabitha – jung, impulsiv, wegen ihres Temperaments ein wenig unberechenbar, trotzdem ihrerseits auf der Suche nach dem Vertrauen ihrer Bezugsperson in sie und sicher auch nach ihrem eigenen Vertrauen zu ihrem Menschen. Es kostet mich unendlich viel Überwindung sie einfach loszulassen und darauf zu vertrauen, dass sie mir folgen und nicht plötzlich zum Stall zurücklaufen wird.
Ich bin für mich zum Schluss gelangt, dass sich Vertrauen, egal in welcher Form erst mit der Zeit entwickeln kann. Die Momente, in denen man das Vertrauen des Gegenübers tief drinnen spüren kann sind immer wieder total intensiv und schön!
Ebenso die Erkenntnis, dass das in uns selbst und unsere Handlungen gesetzte Vertrauen Früchte trägt und die Dinge so funktionieren, wie wir uns das vorstellen.
Letztlich dreht sich alles immer wieder um ein gesundes Selbstvertrauen!
Liebe Gabi!
Herzlichen Dank für dein wundervolles und ausführliches Kommentar! Ich muss noch immer schmunzeln, wenn ich an den “sorglosen” Aramis denke. Und ich stimme dir voll und ganz zu, dass man ein gewisses Grundvertrauen, oder auch Urvertrauen am besten bereits als Kind mitbekommen sollte. Trotzdem finde ich den Gedanken sehr schön, dass man alles im Leben zu jedem Zeitpunkt erreichen kann, egal was vorher war oder was noch vor einem liegt. Und unsere Tiere sind ganz fabelhafte Partner, wenn es darum geht, zu wachsen oder gar über sich selbst hinauszuwachsen.
Hab ein angenehmes Wochenende und fühl dich gedrückt!
Liebe Julia , toll mir gehts da ganz gleich mit Pony und Hundidame , loslassen und vertrauen aber noch besser dass man mir vertraut , das größte Lob ! Ich mag deine Arbeit sehr sie spiegelt wunderbar die Seelen von Tier und Mensch und du kannnst uns wunderbar deinen Blick auf die wunderschöne Welt mit den vierbeinigen Lieblingen vermitteln ! Alles Liebe Esther Shirley und Ali ?
Liebe Esther!
Herzlichen Dank für deine lieben Worte! Ich wünsche dir, Shirley und Ali ebenfalls alles Liebe, genießt das Wochenende zusammen!