“Du bist eine Frage davon entfernt, deine Realität zu verändern.” (Ben Ouattara)
Dieses Zitat von Ben Ouattara hat gestern eingeleitet, was mich heute beschäftigt hat. Ich habe mir eine Frage gestellt, eine Frage, deren Antwort in meiner Kindheit zu finden war. Es ging bei dieser Frage darum, wann und wie mein erster bewusster Kontakt zu einem Pferd stattgefunden hat, um diesen ersten magischen Moment und welches Gefühl ich dazu hatte. Zuerst dachte ich, oje, ob mir dazu was einfallen wird? Aber dann ging es plötzlich ganz schnell und ich war mir sicher zu wissen, wann und wo die erste Begegnung zwischen mir und einem Pferd passierte.
Am östlichen Rand meiner Heimatstadt, dort, wo ich später auch ins Gymnasium gehen sollte, befand sich ein großer Kuhstall. Manchmal, wenn das breite Scheunentor offen stand, hörte man das Muhen, zu sehen bekam man die Tiere quasi nie. Irgendwie hat meine damalige Freundin Claudia, ein umtriebiger Blondschopf, herausgefunden, dass es “da drinnen” auch Pferde gab. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir es anstellten, aber irgendwann wurde uns Einlass gewährt und wir drangen vor zu den vier Haflingern. Ich war sofort fasziniert … ich wollte sie streicheln, bürsten, mich auf sie setzen! Ich wollte mit ihnen alles machen, was ich aus Büchern und Zeitschriften bisher nur theoretisch kannte. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir die vier Stuten regelmäßig besuchten und sie jedesmal auf Hochglanz polierten. Dann saßen wir vor ihnen im Heu und fütterten sie häppchenweise mit dem piksenden Gras, auf dem wir selbst hockten. Doch meine Freude war nicht von langer Dauer, irgendetwas fühlte sich von Anfang an falsch an. Und ich erinnere mich noch genau daran, was mich so unwiderruflich störte: wir konnten alles mit den Pferden machen, aber wir konnten sie nicht von der Stelle bewegen. Sie standen angebunden den Kühen gegenüber im Stall und so sehr ich auch suchte, es gab auch draußen keine Möglichkeit, wo man sie hätte frei laufen lassen können. Ich habe ja damals noch nichts von Pferdehaltung verstanden, aber ich kann mich noch sehr gut an meine Emotionen erinnern, die in Zusammenhang mit diesem Gebäude und den sich darin befindenden Tieren in mir hochkamen. Ich wollte die vier Pferde befreien! Eines nach dem anderen hinaus führen und sie laufen lassen! Ich wollte sie galoppieren sehen und bei ihnen im Gras liegen, wenn sie genüsslich daran knabberten. Obwohl der Hof zu zwei Seiten hin von Feldern umgeben war, konnte ich keinen Zaun ausmachen und ein Freilassen der Pferde hätte wohl in einem mittelmäßigen Chaos geendet. Die Verantwortlichen hatten uns auch nie erlaubt, die Haflinger loszubinden, wohl wissend um deren Bewegungsdrang und -not. Ich hatte damals auch nicht verstanden, wie die Pferde überhaupt hier her gekommen waren, sie kamen mir vor, wie an einem Ufer gestrandete Wale, die zurück in ihr natürliches Habitat gebracht werden mussten … aber schleunigst! Das hatte sich dann wohl jemand zu Herzen genommen, denn eines Tages waren die vier Blondinen verschwunden. Aufgebracht und traurig waren wir zuerst, aber als uns erzählt wurde, dass die vier Pferde nun auf der Alm waren, wo sie den Sommer verbringen würden, konnte ich mit dem “Verlust” meiner vierbeinigen Freunde leben. Als Kind erscheint einem ja alles viel größer und weitläufiger als es im Erwachsenenalter dann tatsächlich ist. So klang das Wort “Alm” für mich nach endlosen Weiten, hoch oben in den Bergen, wo viel frisches grünes Gras wuchs und die Pferde unter freiem Himmel leben konnten. Obwohl sich die regelmäßigen Besuche nun abrupt aufhörten, war ich glücklich, denn in meiner Vorstellung waren die Pferde nun endlich dort, wo sie auch glücklich sein konnten. Und in diesem Sommer haben Claudia und ich dann einen Stall gefunden, wo wir Reitstunden nehmen konnten … und ich begegnete Fatima, einer Shagya Araberstute, die fortan meine liebste Verbündete werden sollte.
Was hat diese Geschichte nun mit dem eingangs erwähnten Zitat zu tun? Als Fotografin unterliege ich einem ständigen Prozess der Entwicklung, Wandlung und Positionierung. Und dabei fühlen sich die Dinge nicht immer gut an. Wenn dies der Fall ist, dann passiert meistens Wachstum, im besten Fall bewusst, manchmal aber auch unbewusst. In Momenten der Ruhe kreisen meine Gedanken unaufhaltsam um die Essenz meiner Arbeit, um die Grundaussage, um meinen ganz persönlichen Zugang zu meinen Bildern und meiner Fotografie. Was will ich transportieren? Was ist es, das ich den Menschen zeigen möchte? Wo will ich, dass sie hinschauen, was sollen sie durch mich entdecken und erfahren? Durch die Frage nach meiner ersten Begegnung mit einem Pferd und was ich dabei gefühlt habe, ist mir ganz stark klar geworden, dass ich Pferde schon immer (!) als wilde und freie Lebewesen angesehen habe und dass es mich nur glücklich macht, wenn ich sie auch so darstellen kann. Der Betrachter soll sich beim Anblick meiner Bilder mit jeder Faser seines Körpers daran erinnert fühlen, dass er es mit dem edelsten aller Geschöpfe zu tun hat, dessen unnahbaren Geist man niemals an ein Seil binden oder hinter Gitter sperren kann. Damals wollte ich die vier Haflinger befreien, heute will ich die Pferdeseele durch meine Bilder befreien. Unbewusst aber nicht ohne Bedacht habe ich für eine Galerie in meinem Portfolio den Titel “Entfesselt” gewählt. Ich mag Pferde ihrem Wesen entsprechend wild, stolz und frei und durch die Beantwortung einer einfachen Frage leuchtet der Leitstern meiner fotografischen Arbeit nun noch heller!
Um zu verstehen, wohin du willst, musst du verstehen, woher du kommst.
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