Eine Frage, die mich sehr, sehr lange beschäftigt hat und mit der ich mich im vergangenen Herbst eingehender auseinandergesetzt habe, ist jene nach der Anzahl der (bearbeiteten) Bilder, die man als Fotograf an seine Kunden ausgibt. Egal mit wie vielen Kollegen, Kunden, Freunden oder beratend zur Seite stehenden Menschen man auch spricht, jeder hat dazu eine andere Meinung und diese gehen teilweise eklatant weit auseinander. Ich habe sowohl von Fotografen gehört, von denen man nie eine RAW-Datei zu Gesicht bekommt und die auch selber aussuchen, welche Bilder bearbeitet und an den Kunden ausgegeben werden bis hin zu anderen, die alle Bilder rausgeben, unbearbeitet und wenn es sein muss, dann auch noch gerne die Rohfassungen davon. Wie in allen Dingen bin ich auch hier kein Freund von Extremen, weshalb ich wirklich lange darüber reflektiert habe, was meinem Fotografennaturell am ehesten entspricht und was mir persönlich als die beste Lösung erscheint.
Die unendlichen Möglichkeiten in der Bildbearbeitung haben aber auch mindestens ebenso viele Fragen aufgeworfen im Hinblick auf den eigenen Stil, auf verschiedene Techniken, auf ein Zuviel an Retusche etc. Über lange Zeit habe ich mich nun damit auseinandergesetzt, ob mir “out of cam” Bilder, die inklusive Stromzaun und Fliegen auf der Pferdenase schaden könnten, wenn sie im Internet gezeigt werden. Klar gehen mir solche Rohfassungen selbst gegen den Strich, da ich per se eher perfektionistisch veranlagt bin (was nicht immer leicht ist, da man fast niemals in einen Zustand völliger Zufriedenheit gerät), aber seien wir mal ehrlich, wer kann schon alle 100 (oder durchaus mehr) bei einem Shooting entstandenen Bilder so bearbeiten, dass man das Foto als “sauber” betrachten könnte? Diese Zeit habe ich leider nicht und ich kann mir auch keine Angestellten leisten, die das für mich übernehmen würden. Außerdem könnte/wollte diesen zeitlichen Aufwand, der zugegebenermaßen enorm wäre, auch niemand bezahlen.
Was ist aber nun die Lösung? Gebe ich wirklich nur die tip top gestylten Bilder aus, weil mich meine nicht “photogeshoppten” dermaßen in Panik versetzen, dass ich sie dem world wide web nicht zumuten kann? Oder gehe ich das Risiko ein, nicht alles perfekt zu haben, aber meinen Kunden trotzdem die Erinnerungen zukommen zu lassen, die wir zusammen während des Shootings mit seinen Pferden geschaffen haben? Das entscheidende Erlebnis, das zur Beantwortung dieser Frage für mich führte, hatte ich nach dem Shooting mit meiner Praktikantin Laura. Sie nahm mich und Arce sowie Nala vor die Linse und die Fotoausbeute konnte sich mehr als sehen lassen. Allerdings hatten wir an einem schwülen Sommernachmittag fotografiert und Arces Nase war überseht von kleinen Fliegenmonstern. Ich konnte Laura auf keinen Fall zumuten, auf jedem Bild diese Insektenplage zu entfernen, aber auf meinen drei Lieblingsbildern hat sie es gemacht. Alle anderen Bilder habe ich so auf meinem Rechner abgespeichert und wisst ihr was? Die Fliegen stören mich nicht im Geringsten und ich bin froh über jedes einzelne Bild, das ich als Erinnerung habe.
Auf dem Business Bootcamp mit Calvin Hollywood hatten wir das Thema dann noch einmal … auf meinen Einwand hin, ich würde mich nicht so wohl fühlen damit, nur grundbearbeitete Bilder auszugeben, auf denen noch störende Elemente zu sehen sind, meinte Calvin nur trocken, ich sei egoistisch! Meine Augen wurden ganz kurz mal ganz groß und ich verstand zuerst nicht. Aber dann musste ich an meine Bilder mit Arce denken und mir wurde klar, dass mir auch die nicht retuschierten Bilder eine Menge bedeuten und ich in Zukunft meinen Kunden diese ebenfalls nicht mehr vorenthalten werde.
Ich habe mittlerweile für mich ganz klar abgegrenzt, was Kunst und was Handwerk ist. Als Fotograf sein Handwerk zu beherrschen bedeutet, bereits im Vorfeld alles so zu planen und zu organisieren, dass bereits im Moment der Bilderstellung alle Parameter so perfekt wie möglich berücksichtigt werden und eine korrekte, möglichst “saubere” Fotografie realisiert wird. Das beinhaltet die vorsorgliche Auswahl passender Hintergründe (Thema: Zaun), die gründliche Vorbereitung des Pferdes (Thema: Flecken auf dem Fell, rotzige Nase etc.), exakte Anweisungen während des Shootings (Thema: wo positionieren sich die Assistenten etc.) sowie das Miteinbeziehen der Jahres- und Tageszeiten mit ihren jeweiligen Herausforderungen (Thema: Licht, Insekten etc.). Respektiere ich diese Punkte, entstehen bereits Aufnahmen, die, einmal zur Entwicklung der RAW Datei Lightroom durchlaufen, handwerklich perfekte Fotografien ergeben. Und auf dieser Basis aufbauend kann dann die Kunst entstehen! Die in Photoshop bearbeiteten Bilder beschreibe ich für meine Kunden immer mit folgenden Worten: “Das sind jene Bilder im Großformat für die Wohnzimmerwand, wo jedes Härchen sitzt”. Und die Kunst soll ruhig Raum zur Interpretation geben … Farben und Kontraste dürfen etwas lauter im Orchester spielen und dem Pferd darf durchaus unbegrenzte Freiheit fernab von menschlich geschaffener Einengung gewährt werden. Die Kunst lässt uns träumen und im Traum darf, ja soll liebend gerne alles so perfekt und bunt wie möglich sein!
Mein Fazit: Zusätzlich zur Auswahl der Favoriten-Bilder, die so traumhaft wie möglich und so kunstvoll wie nötig in Photoshop bearbeitet werden, erhalten meine Kunden zudem alle anderen gelungenen Bilder des Shootings grundbearbeitet und ebenfalls in hoher Auflösung.
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